Inhalte:
Das Leiden mit dem Tinnitus
Wie Neurowissenschaften bei Tinnitus helfen
Neuroplastizität: wie Tinnitus entsteht
Das Mindfulness Based Tinnitus Reduction (MBTR) Training
Übungsfeld 1: Achtsamkeitstraining
Übungsfeld 2: kognitive Umdeutung
Übungsfeld 3: Amygdala Reset
Übungsfeld 4: Vagusnerv-Training
Fazit
Das Leiden mit dem Tinnitus
Mehr als 15 Millionen Menschen im deutschsprachigen Raum erkranken einmal im Leben an Tinnitus, 10 Prozent davon meist so schwer, dass sie ihren Lebensalltag nicht mehr bewältigen können (dekompensierter Tinnitus). Dabei stört nicht nur das Pfeifen oder Klingeln im Ohr die Lebensqualität, sondern die sog. Komorbiditäten wie Verdauungs- und Schlafstörungen, Depression, Angst und soziale Isolation machen den Alltag vieler Tinnitus Betroffenen zur Qual.
Doch so individuell wie die Tinnitus Belastung von Tinnitus-Leidenden wahrgenommen wird, so individuell sind auch ihre Ursachen, was die Behandlung der Ohrgeräusche zu einem höchst schwierigen und meist langatmigen Verfahren macht: beginnend beim HNO Facharzt, über den Internisten bis hin zu Physiotherapeuten, Chiropraktikern und Zahnärzten zieht sich oft ein Diagnose- und Therapiemarathon, der jedoch für viele mit der ungewissen Botschaft „ich finde keine Ursache, Sie müssen sich mit dem Tinnitus abfinden“ endet.
Die sog. „chronische“ Tinnitus Erkrankung beschreibt den bereits austherapierten Tinnitus-Verlauf und stellt viele Tinnitus Betroffene vor eine hohe Belastungsprobe: wie am besten mit dem (scheinbar) nicht abänderbaren Feind im Ohr umgehen lernen? Schulmedizinisch wird die kognitive Verhaltenstherapie als best-wirksamste Behandlungsform des austherapierten Tinnitus gesehen – zumindest bis vor wenigen Jahren.
Wie Neurowissenschaften bei Tinnitus helfen
Der Hype rund um die Neurowissenschaften und vor allem ihre Anwendung bei achtsamkeitsbasierten Verfahren bringt nun auch für Tinnitus Betroffene wunderbare Nachrichten: Tinnitus kann wieder verlernt werden. Und nicht nur das Ohrgeräusch an sich, sondern auch die damit verbundenen Komorbiditäten, wie Schlafstörungen, Depression, Angst und weitere klassische Stresserkrankungen. Das Stichwort dabei lautet Neuroplastizität.
Neuroplastizität beschreibt jene Eigenschaft des Gehirns, sich jederzeit an jede neue Situation anpassen und damit lernfähig sein zu können. Was einmal gelernt wurde, kann auch wieder verlernt werden, genauso wie auch noch im hohen Alter völlig neue Wahrnehmungs-, Denk-, Fühl- und Verhaltensweisen neu gelernt werden können.
All das lässt sich mittlerweile nicht nur behaupten, sondern durch viele Studien mit bildgebenden Verfahren aus der Gehirnforschung belegen. Dabei ist besonders interessant, dass durch Hirnscans nicht nur gezeigt werden kann, wo genau im Gehirn Tinnitus entsteht, sondern vor allem wie die betroffenen Gehirn-Areale wieder desensibilisiert oder zurücktrainiert werden können, sodass auch die Tinnitus-Wahrnehmung deutlich geringer wird.
Neuroplastizität: wie Tinnitus entsteht
Der großartige Beitrag der modernen Neurowissenschaften zur Tinnitus Entstehung zeigt auf, dass Tinnitus eben nicht – wie bisher angenommen, im Ohr entsteht, sondern sich in der Hörbahn entwickelt, also jenem Verarbeitungsprozess des Gehirns, in dem die Reizweiterleitung vom Hörnerv bis in den auditorischen Kortex geschieht. Je nach Ursache des Tinnitus werden bestimmte Frequenzbereiche im auditorischen Kortex hyperaktiviert behandelt – ähnlich einem „lauter drehen“ eines Empfängers, weil einkommende Reize zu wenig wahrgenommen werden. Es handelt sich also um eine Fehladaption im auditorischen Kortex, anders gesagt um ein falsch eingelerntes Hörverhalten unseres Gehirns. Eine besondere Rolle in diesem fehlgeleiteten Verarbeitungsprozess spielen auch tiefere Schichten unseres Gehirns, das limbische System (vereinfacht unser Stress-Zentrum) und das exekutierende Stammhirn, welches unser Nervensystem entsprechend anfeuert.
Genau diese tieferliegenden Bereiche unseres Gehirns lassen sich mit achtsamkeitsbasierten Therapieverfahren sehr gut ansprechen und wieder ausbalancieren. Diese Neuausrichtung des Stressverhaltens wirkt auch rückwirkend auf unser Hörerleben und reduziert die Tinnitus-Wahrnehmung deutlich. Dr. Jennifer Gans konnte in ihrer Pilotstudie des Mindfulness Based Tinnitus and Stress Reduction (MBTSR) Programms die deutliche Belastungsreduktion anhand des Tinnitus Questionaires belegen, auch eventuell begleitenden depressive Verstimmungen waren nach Absolvierung des MBTSR Programms drastisch verringert.
Das Mindfulness Based Tinnitus Reduction (MBTR) Training
Nach Veröffentlichung dieser für Tinnitus-Betroffene sensationellen Erkenntnisse wurde der MBTSR Ansatz nach Dr. Jennifer Gans durch Dr. Markus Rimser um weitere Übungsfelder des Vagusnerv-Trainings und des Amygdala Release Trainings ergänzt und zum aktuell erfolgreichsten Tinnitus Re-Trainings geformt. Dieses Mindfulness Based Tinnitus Reduction (MBTR) Training besteht aus 4 Handlungsfeldern, durch deren Übung Tinnitus Betroffene ihre Tinnitus Belastung in nur 6 Wochen um durchschnittlich 87% reduzieren können.
Übungsfeld 1: Achtsamkeitstraining
Die Praxis von Achtsamkeit fußt auf einer mindestens 2500 Jahre alten Weisheitstradition, nämlich dem Buddhismus. Bilder des Dalai Lama in CT-Röhren gingen bereits Anfang der 2010er Jahre rund um die Welt. Beim Achtsamkeitstraining werden gezielt bestimmte Gehirnareale aktiviert, der Geist wird insgesamt ruhiger und Gedankenkarusselle beginnen langsamer zu drehen – eine spürbare Entspannung des Gehirns ist die Folge. Kombiniert mit Techniken des achtsamen Hörtrainings führt dieses Übungsfeld zu einem umfänglichen Reset jener Hörfilter, die bei der Entstehung des Tinnitus stark beteiligt sind.
Übungsfeld 2: kognitive Umdeutung
Für viele Tinnitus Betroffene ist weniger das Ohrgeräusch an sich das Problem, sondern das Gedankenkreisen rund um mögliche Auswirkungen des Tinnitus: werde ich je wieder gesund? Kann ich meinen Job so noch weiter machen? Was tue ich, wenn das noch schlimmer wird? Gedanken erzeugen Gefühle, die sich wiederum auf unser Verhalten auswirken. Kognitive Umdeutung ist ein Konzept aus der Verhaltenstherapie, in der hinderliche Überzeugungen über den Tinnitus in neue Bewertungen überführt werden. So kann zB der Tinnitus als Gradmesser für Stressbelastung gesehen werden, quasi als Frühwarnstufe, um sich besser abgrenzen zu lernen. Auch hier zeigen Studien sehr deutlich, dass Tinnitus-Leidende erstens eine Wahl über Gedanken und Gefühle haben und zweitens, dass optimistischeres Denken auch die Heilung beschleunigt, während Katstrophendenken die Tinnitus Belastung deutlich erhöht.
Übungsfeld 3: Amygdala Reset
Chronischer Tinnitus ist stark Stress getriggert. Das bedeutet, dass durch hohe Stressbelastung auch die Wahrnehmung des Ohrgeräuschs nach oben geschraubt wird. Bei vielen Tinnitus Patienten ist Stress sogar die Hauptursache der Erkrankung. Unser Stresszentrum liegt im limbischen System, insbesondere in den sog. Mandelkernen (Amygdalae). Diese Mandelkerne aktivieren im Unsicherheitsfall die Stressachse und lösen über den Ausstoß von Neurotransmittern eine regelrechte Überflutung des Organismus mit Stresshormonen aus – mit dem Ergebnis, dass im Körper alles aktiviert wird, um das Überleben zu schützen. Diese neuronale Stressaktivierung zeigt sich vor allem in einer groben Anspannung von Muskulatur und Gefäßsystem, schließlich soll der Organismus für Kampf oder Flucht vorbereitet sein. Hoher Druck im Organismus bedeutet auch hoher Druck im Innenohr, was den Tinnitus noch deutlicher wahrnehmen lässt. Bei vielen Tinnitus Betroffenen findet sich ein chronisch angespanntes Nervensystem, welches nicht nur Bedrohungen im Außen, sondern auch im Inneren (dem Tinnitus) vorfindet. Das Amygdala Reset Training ist ein hochwirksames Ent-Stressungs-Programm, das vor allen in der Angststörungs- und Panikattacken-Forschung Anwendung findet. Durch gezielte Übungen werden die Mandelkerne (Amygdalae) wieder desensibilisiert und damit das chronisch angespannte Nervensystem wieder entlastet.
Übungsfeld 4: Vagusnerv-Training
Die Amygdalae wieder zurück zu trainieren braucht Zeit. Um ein möglichst rasches Abklingen des Tinnitus zu erzielen wird im Mindfulness Based Tinnitus Reduction (MBTR) Programm auf Techniken aus dem Vagusnerv- Training zurückgegriffen. Der Vagusnerv ist der älteste Teil unseres passiven Nervensystems, also jenem Teil des Nervensystems, der für Entspannung und Verdauung zuständig ist. Vagusnerv-Übungen verhindern somit sehr nachhaltig die Aktivierung des sympathischen Nervensystems, also jenes Teils, der für den Angriffs- und Fluchtmodus verantwortlich zeichnet.
Fazit
Das Mindfulness Based Tinnitus Reduction (MBTR) Programm nach Dr. Markus Rimser ist das aktuell wirksamste Tinnitus Retraining, welches die effektivsten Methoden und Techniken aus den Neurowissenschaften, der kognitiven Verhaltenstherapie und Ansätzen aus der Angststörungs- und Stressforschung kombiniert und speziell für Tinnitus Betroffene verfügbar macht. In einem online basierten Selbsthilfe-Programm erhalten Tinnitus Erkrankte die Möglichkeit, angeleitet durch 42 Video- und Audio Lektionen die Tinnitus Belastung von zuhause aus selbstwirksam zu reduzieren. Je nach Lerngeschwindigkeit lassen sich bereits nach 6-8 Wochen deutlich spürbare Belastungsreduktionen erfahren und eine wiedergewonnene Lebensqualität beobachten.